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Das Haarer Modell

1997 war seine Geburtsstunde. Da fing die Gemeinde Haar im Südosten Münchens an, mit Wildblumen statt Rasenflächen. Ein Umdenken im Öffentlichen Grün lange vor der Zeit des Bewußtwerdens von Artensterben und Biodiversitätsschwund. Aus den ersten 1450 Quadratmetern wurden bald mehr. Inzwischen hat die Gemeinde über vier Hektar über das Siedlungsgebiet verteilte kleinste, kleine bis hin zu sehr großen Flächen. Alles naturnah. Alles mit heimischen Blumenwiesen und Säumen.

Das Haarer Modell ist aber mehr als nur möglichst viele Wildpflanzenflächen. Es ist der bewußte Umgang auch mit der Grünflächenpflege und deren Folgen. 2010 konnte ich die erste Studie dazu präsentieren. Es wurden alle angelegten Flächen bewertet. Und zwar nach diesen drei Gesichtspunkten: Ästhetik, Ökologie und Pflegezustand. Als Ziel wurde die Steigerung der Artenvielfalt und speziell die Erhöhung des Blumenanteils auf den Flächen angesteuert. Weniger Gras, mehr Blüten also. Daraus erfolgte dann eine Umstellung der Pflege auf für das jeden Standort andere, aber genau richtige Maß. Dadurch, nur durch eine bessere angepasste Pflege, konnte zur zweiten Studie 2017 der Wildblumenanteil auf etlichen Flächen um das Vielfache gesteigert werden, im besten Fall von 5 auf 50 % Wildblumen – in nur sieben Jahren.

Haar ist heute noch bemüht, diese Flächen in hoher Qualität zu erhalten. Inzwischen wurden sogar Wildbienenkartierungen durchgeführt mit überaus positivem Gesamtergebnis. In den Haarer Wildblumenflächen fanden sich 112 Wildbienenarten – grob gerechnet ein Fünftel unserer hiesigen Spezies. In nur einer Gemeinde. Auf verhältnismäßig wenigen Flächen.

Das Haarer Modell, der konsequente Umgang nur noch mit heimischen Ansaaten, führte sehr bald weit in die Welt. Nicht nur Nachbargemeinden nahmen sich der Idee an, sondern ganze Landkreise und Bundesländer wie Baden-Württemberg, Vorarlberg oder Tirol und Länder wie Liechtenstein oder Luxemburg. Aus der Alltagspraxis mit dem Haarer Modell entstand auch die Konzeption des Bauhoftrainings.

Inzwischen wird europaweit mit naturnahem öffentlichem Grün experimentiert. Nicht immer erfolgreich. Vielfach mit abstrusen Argumentationen von Naturschützern und Honigbienenfans, mit untauglichen Rezepten und Billig-Mischungen. Viele fangen gar bei Null an und glauben, sie hätten wie Christoph Columbus die neue Welt entdeckt. Dabei wissen wir heute sehr genau, wie es – je nach Methode – langsam oder schnell erfolgreich geht und wird, schon ziemlich lange sogar. Unsere Rezepte sind ganz einfach, vielfach in Workshops vermittelt und für alle anderen aufgeschrieben zum Beispiel im Naturgartenbau-Buch oder in UnkrautEX:

  • professionelle Planung
  • richtige Bautechnik
  • richtige Vegetationstechnik
  • richtig gutes heimisches Wildpflanzensaatgut
  • richtig gute Pflege

Wenn das alles (f)einjustiert ist, erst dann gelangen auch Sie zu dem Punkt, wo es heißen kann: Mehr Wildblumen durch richtige Pflege. Doch fangen Sie erst mal richtig an. Mit dem Haarer Modell.

Naturnahes öffentliches Grün. Über 20 Jahre lang trug Michael von Ferrari (Bildmitte) als Umweltreferent der Gemeinde Haar die Idee eines anderen, naturnahen Umgangs mit dem Öffentlichen Grün voran. Hier bei einer Führung mit einer Delegation aus Vorarlberg im Jahr 2012. Bald darauf starteten in dem österreichischen Bundesland meine Kurse und Workshops zur Qualifizierung der Vor-Ort-Mitarbeiter der Gemeinden.
Die Idee, dass man mit heimischen Wildblumen erfolgreich im öffentlichen Grün sein kann, setzt sich fort. Immer mehr Menschen sehen, dass und wie es geht. Hier die Exkursion aus Vorarlberg unterwegs im Münchner Raum.
Naturschutz durch heimische Wildpflanzen. Blutströpfchen bzw. Widderchen auf einer Taubenskabiose in Haar. Seit der Umstellung auf naturnah haben die Artenzahlen, sogar von seltenen Tieren, beträchtlich zugelegt. Solche Bilder warten vorher unmöglich, jetzt sind sie möglich.
Das ist eines meiner Lieblingsbilder von Haar. Seitdem die Gemeinde das naturnahes öffentliche Grün hat, beherbergt und verköstigt sie kontinuierlich übers Jahr einen 30-40 Vögel fassenden Schwarm von Distelfinken, die auch Stieglitze heißen. Hier fressen vielleicht 15 ihrer an den Samenständen einer Wilden Karde, einer typischen über den Winter gelassenen Wildpflanze unserer Wildblumensäume.